Biozentrum I und II

Hammeskrause Architekten
2016–2018 und 2018–2020

Ein neues Zentrum für die Lebens­wissen­schaften

Mit den beiden BioZentren, die als Zwillingsbauten den Südwesten des JGU-Campus formen, entsteht eine Erweiterung der sogenannten Lebenswissenschaften, die sich in mehreren Gebäuden um den botanischen Garten gruppieren: das biochemische Forschungszentrum und das Institut für molekulare Biologie liegen weiter westlich auf dem Campus, in unmittelbarer Nähe zur Zentralmensa. Hier schließen sich die BioZentren an. Östlich davon befinden sich die grüne Schule sowie die Anthropologie, die 2013 in einen Neubau zog. Dadurch wird die Idee der Quartierbildung auf dem Campus, die erstmals 1961 festgelegt wurde, auch im 21. Jahrhundert fortgeführt. Die beiden BioZentren tragen wesentlich zur Schärfung des Forschungsprofils der JGU sowie der Lebenswissenschaften bei. Ziel war es, mit Blick auf die Zukunft Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, die auf eine zunehmende Vernetzung, verstärkte Transferleistungen und größere Digitalität an den nationalen und internationalen Universitäten reagieren können. Ihre visionäre Formensprache der Fassaden und der zugleich strenge Baukörper vermitteln eine Dynamik zwischen Solidität und Offenheit.

 

Außen eine ruhige Einheit…

Die beiden kompakten, kubischen Gebäude von BioZentrum I und II sind von außen identisch und klar gestaltet: Die Fassaden erscheinen in einer hellbeigen Klinkerverkleidung, die umlaufend durch vertikale Fensterbänder aufgelockert wird.

Diese sind unterschiedlich breit gestaltet, wodurch eine eigenwillige, zugleich ausgeglichene Dynamik entsteht, die an die hölzernen Fensterlaibungen der Zentralmensa und zugleich an einen Barcode erinnern. Der helle Farbton referiert wiederum auf die weiße Fliesenfassade des Philosophicums.

 

Eine ähnliche, wenn auch dynamischere Fassade hat Daniel Libeskind für seinen Kö-Bogen in Düsseldorf (2013) entworfen.

An der Schmalseite der Bauten, nördlich zum Hanns-Dieter-Hüsch-Weg gelegen, entfaltet sich jeweils ein breiter gläserner Mittelrisalit, der den Haupteingang markiert.

An den Breitseiten setzt sich die Gliederung in schmalen und breiten Fensterabschnitte fort: Besonders beeindruckend gestaltet sich die breite östliche Fensterfront des BioZentrums I, die einen imposanten Ausblick in Richtung botanischen Garten freigibt und so das charakteristische Foyer mit Licht und Grün versorgt. Auf der Westseite öffnet sich ein weiterer Risalit hin zu einem Zwischengarten, der optisch das BioZentrum I mit dem BioZentrum II verknüpft. Der zweite, 2020 beendete Bau fügt sich mit derselben äußeren Gestaltung ruhig in den Straßenzug ein. Speziell die Dopplung der Bauvolumen sowie Fassadengestaltungen markieren die Bauwerke als einander zugehörig.

Zugleich führt die Wiederholung der Formen zu einem beeindruckenden Effekt, da sich die Bauwerke monumental der Straße entlang materialisieren und zugleich elegant in der grünen Umgebung niederlassen. Die großzügigen Ausblicke in das umliegende Grün der Gärten und Flächen trägt maßgeblich zur Aufenthaltsqualität bei. BioZentrum I und II sind außerdem unterirdisch miteinander verbunden, was eine enge Kooperation der Forscher:innen und Student:innen der verschiedenen Projektgruppen und AGs erleichtert.

…innen die Vielfalt

So wohlgeformt und identisch die Bauten von außen daherkommen, so unterschiedlich ist ihre Gliederung in Bezug auf die Wegeführung, Raumverteilung und Gestaltung im Inneren. Das BioZentrum I, 2018 fertiggestellt, besticht durch eine unkonventionelle Raumteilung und ein durchgehend über alle Etagen geöffnetes Foyer mit Wendeltreppe, Galerien, Erker und Brücken. Es bildet das kommunikative Zentrum des Baus, sowohl in ästhetischer als auch räumlicher Weise. Komplett in Weiß gehalten wird die repräsentative Wendeltreppe mit dunkelroten Stufen und hellen Holzgeländern zum Blickfang der Eingangshalle. Die Treppe windet sich um eine schlanke Betonstütze und führt zu den drei oberen Etagen. Jedes Geschoss besitzt eine eigene Küche und Sitzecken für Pausen. Von den umlaufenden Galerien gehen Korridore zu den Laboren sowie Dienstzimmern ab. Konferenzräume in nach innen gerichteten Erkern befinden sich links von der Treppe. Gegenüber führen gezackte weiße Brücken von der einen Etagenseite zur anderen. Diese Lösung wurde zugunsten des breiten Glasrisalit gewählt, um den Ein- und Ausblick nicht durch eingehängte Etagen zu versperren.

 

Die lichte Gestalt des Foyers, das sich durch die Wendeltreppe, schwebenden Galerien und Erker beinahe aufzulösen scheint, vermittelt den Eindruck von Leichtigkeit. Man wird an die zurückgenommene weiße Architektur von Le Corbusier erinnert.

Licht, Luft und Sonne waren für den Stararchitekten entscheidende Aspekte einer gelungenen modernen Baukultur. Sein Credo: „Architektur ist das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper“. Ein ähnlich lichtes und luftiges Foyer besitzt auch das Mainzer Institut für molekulare Biologie, das durch intelligente Wegeführung, architektonische Offenheit und Vernetzung besticht.

Ebenfalls lichtdurchflutet zeigt sich das Foyer des BioZentrums II. Hier wird allerdings eine andere Form der Wegeführung etabliert. Nach dem Betreten durch den nördlichen Haupteingang passiert man eine größere Freifläche, die mit Beamer und Lautsprecher ausgestattet ist, um Vorträge in dem benachbarten Hörsaal in Remote in die Eingangshalle übertragen zu können. Dies ist vor allem für große Konferenzen und Empfänge praktisch und fördert die Repräsentation der Biologie als wichtigen Fachbereich der Universität. Wenige Meter dahinter erstreckt sich eine monumentale, in Beton und Holz errichtete Treppe, die allerdings zunächst nur von der Seite aus sichtbar ist. Um sie zu passieren, muss man links an dem Treppenkern vorbeilaufen und wird direkt zur westlichen Glasfront geleitet, die in Richtung BioZentrum I zeigt. Von hier aus verläuft eine große Freitreppe in die nächsten drei Geschosse. Sie ist geteilt in Sitzstufen und Passierstufen, wodurch Personen zum Verweilen oder gar Lernen eingeladen sind. Anders als im BioZentrum I, wo kleinere aufgeteilte Sitzecken auf den Etagen verteilt sind, wird die Treppe zum Aufenthaltsort per se. Auch hier maximiert sich die Verweilqualität durch die multifunktionale Nutzung des Foyers – sowohl für berufliche als auch freizeitliche Zwecke.

Teeküchen und Besprechungszonen sind ebenfalls vorhanden, so kann die fachbereichsübergreifende Kommunikation zwischen Biologie, Biochemie und dem Institut für Biotechnologie und Wirkstoff-Forschung gewährleistet werden.

Beide Gebäude besitzen große Nutzflächen: Das BioZentrum I ca. 4.700 Quadratmeter und das BioZentrum II 6.100 Quadratmeter. Je 200 bzw. 300 Mitarbeiter:innen haben in ihnen ihren Forschungs- und Arbeitsraum. Charakteristisch ist die flexible Organisationsstruktur beider Gebäude, die es ermöglicht, mehrere Büro- und Laborflächen zu Clustern zu schalten und so die Multifunktionalität bzw. Nutzungsoptionen zu erhöhen. Vor allem zukünftige Forschungsprojekte profitieren von den variierbaren Strukturen.

 

Zeitgemäße Hochschularchitektur und ein neues Campusquartier

Für das Architekturbüro Hammeskrause steht die Kommunikation einzelner Bereiche im Fokus der Universitätsbauten. Dies belegen die flexiblen Raummodule. Im Jahr 2010 wurde errechnet, dass in naher Zukunft ca. 18 bis 23 Professuren in der Biologie neu besetzt werden. Den Umstand nutzte man, um die Lebenswissenschaften nach den neuesten Forschungsanforderungen auszustatten und durch hocheffiziente Laborgebäude zu stärken.

Die Zwillingsbauten tragen wesentlich zur Schärfung des Forschungsprofils der JGU sowie der Lebenswissenschaften bei. Die Weitsicht in Bezug auf die Entwicklung von Forschung und Lehre wird hier baulich integriert. Ziel war es, mit Blick auf die Zukunft Arbeitsmöglichkeiten zu entwerfen, die auf Vernetzung, Transfer und Digitalität an den Universitäten reagieren können. Durch den Neubau der BioZentren und der damit geschaffenen Verbesserung der wissenschaftlichen Infrastrukturen wurde auch das Leistungsprofil angehoben, um hochkarätige Forscher:innen anwerben und das hohe Niveau in Mainz fortführen zu können. Mit der Zusammenführung der unterschiedlichen Institute für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie, für Entwicklungsbiologie und Neurobiologie sowie für Molekulare Physiologie können Forschungsinhalte konzentriert und Synergien für Forschungsmittel genutzt werden. Es entsteht ein neues Campusquartier im Südwesten und rund um den Botanischen Garten. Zugleich wurde mit dem Bau der BioZentren ein Meilenstein der allgemeinen Campusentwicklung und -erneuerung gesetzt, der auch die Modernisierung der Campusstruktur vorantreibt. Letztlich trägt die Architektur so zur nationalen und internationalen Sichtbarkeit der JGU bei.

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Trivia

Die JGU als Bauherrin und ein antiker Fund

Erstmals erhielt die Johannes Gutenberg-Universität vom Land Rheinland-Pfalz die Bauherrenfunktion für die beiden Bauprojekte. Wissenschaftsminister Prof. Dr. Konrad Wolf lobte das Vorhaben: „Dieses große Maß an Eigenverantwortlichkeit könnte Vorbildcharakter haben.“ Mit einer großzügigen Unterstützung der Boehringer Ingelheim Stiftung von 50 Millionen Euro wurde die Neuausrichtung der Lebenswissenschaften gefördert, die größtenteils in die Neuausstattung der Labore floss.

Während der Bauarbeiten wurden alte Fundamente eines römischen Aquädukts ausgegraben. Ein Aquädukt ist ein Bauwerk bzw. eine Konstruktion zur Beförderung von Wasser von einer Quelle zur Stadt. 18 Steine wurden gefunden und mit einer der Denkmalpflege gerechten Überbauung für die Konservierung gesichert. Dies hatte zur Folge, dass der Keller um ca. 11,5 Meter gekürzt werden musste.