Ehemalige Flakkaserne mit Kasino

Architekt: Hans Ueter (Bau, Wiederaufbau und Umbau)
ca. 1938–1939 und ab 1945 (Wiederaufbau)

Wo alles begann: Das Forum universitatis

Am östlichen Haupteingang der Johannes Gutenberg-Universität liegt das heutige Forum vor einem großflächigen Vorplatz. Hier zentrieren sich die Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel an einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt zwischen Saarstraße und Albert-Schweizer-Straße. Nachdem man die kleinen Kolonnaden links passiert hat, in denen eine Bäckerei, ein Copyshop sowie eine Bücherei untergebracht sind, erstreckt sich ein langer Bau mit eingelassenem Turmtor, durch das man den Campus der JGU betritt.

Die Gründung der JGU in einer ehemaligen Flakkaserne

Das Forum bildet den baulichen und zugleich historischen Ausgangspunkt des Campusgeländes, das sich von Osten nach Westen hin ausbreitet: Ursprünglich wurde das Forum als Stabsgebäude und damit als Teil einer Flakkaserne für die deutsche Wehrmacht im zweiten Weltkrieg gebaut, dessen militärische Nutzung nach 1945 hinfällig war. Auf den Türmen standen früher Flakgeschütze als Schutz vor Luftangriffen. 1946 wurde das Gelände von der in Mainz stationierten französischen Besatzung an die Universität übergeben. Ziel war es, dem Gebäude einen neuen Zweck zu verleihen und damit einen symbolischen Neuanfang zu setzen: Die ehemalige Flakkaserne wurde zu einem Konversionsprojekt.

Den Beginn der 1946 getauften „Johannes Gutenberg-Universität“ markiert bis heute das Forum, aber auch die beiden Campushauptachsen Jakob-Welder-Weg und Johann-Joachim-Becher-Weg. Diese entstammen ebenfalls der alten Infrastruktur der historischen Flakkaserne. An ihnen entlang reihen sich nachfolgend die Bauwerke unterschiedlicher Jahrzehnte. Heute überformen die Ideen der Wissenschaften, Forschung und Lehre die ehemalige Bedeutung des historischen Geländes. Mit einer phasenweisen Überbauung des alten Geländes und der Campuserweiterung entwickelte sich die Universität zu einer modernen, gewachsenen Wissenschaftsstadt mit Leuchttürmen herausragender Architektur.

Wiederaufbau als Engagement der Studierenden

Die ehemalige Flakkaserne bestand aus dem Hauptgebäude, dem ehemaligen Kasino und den Mannschaftsquartieren im Süden des Areals. Die drei Bauwerke bildeten zusammen die Flakkaserne. Am 15. Januar 1946 begannen unter der Leitung des Architekten Hans Ueter die Wiederaufbauarbeiten der Anlage. Die Instandsetzung, allem voran des Westflügels, dauerte bis 1955.

 

Dennoch fand die Eröffnung der Universität unter ihrem neuen Namen „Johannes Gutenberg-Universität“ am 22. Mai 1946 statt. Die Studierenden verpflichteten sich dazu, am Wiederaufbau der kriegszerstörten Gebäude mit 60 Arbeitsstunden pro Semester teilzuhaben. Ebenfalls involviert waren Kriegsgefangene. Die drei Gebäude beherbergten für mehrere Jahre alle nötigen universitären Einrichtungen: die Philosophische und Naturwissenschaftliche Fakultät wie die katholische und evangelische Fakultät mitsamt allen Bereichsbibliotheken. Das Dachgeschoss des Forums wurde in ein Studentenwohnheim mit 550 Plätzen umgebaut – dieses wurde 2006 aufgelöst. 

Der ehemalige Appellplatz wurde zum Innenhof umgenutzt, der bis heute den Namen „Forum universitatis“ besitzt. Die Mensa war im Gebäude des ehemaligen Kasinos untergebracht, das 1952 mit Unterstützung des McCly-Fonds umgebaut wurde. Dadurch, dass die Mainzer Universität auf einem von der Innenstadt unabhängigen Gelände wiedereröffnet wurde und die Gebäude alle Fakultäten an einer Stelle vereinten, entstand mit der Johannes Gutenberg-Universität die erste sogenannte „Campusuniversität“ Deutschlands.

Barocke Anlagen, Heimatschutz-Stil und moderne Fassaden-Gliederung

Das Forum weist in seinem Grundriss eine typische Kasernenarchitektur auf: Die beiden langen Seitenflügel stellen sich quer zum Haupteingang des Campus und vereinen sich im Norden durch einen Verbindungsbau, wobei die Seitenflügel leicht hinausragen.

Heute befinden sich auf dem ehemaligen Exerzierplatz der Bürgerbrunnen und die Büste des Johannes Gutenberg. Das Forum ist durchgehend zweigeschossig und besitzt ein Satteldach mit Gauben. Die Fassade ist durch regelmäßig angelegte, doppelgeschossige Fensterreihen harmonisch gestaltet.

 

Zwei große Tore mit Mansardendach durchbrechen den zum Haupteingang quergestellten Bau, sodass man durch die Anlage, über den mittigen Platz, direkt zum weiteren Campusgelände durchgeschleust wird.

Beide Tore besitzen je drei Durchgänge mit flachbogigen Öffnungen. Der zentrale Eingang ist der am breitesten angelegte. Im darüberliegenden Geschoss sind die Fenster anders als im übrigen Bau angeordnet und weisen einen Rhythmus von 1 : 3 : 1 auf.

Der Grundriss der Anlage sowie die regelmäßige Gliederung der Fassaden mit zentralen Haupttoren ist barocken Schlossanlagen entlehnt, die standardmäßig mit Achsensymmetrie und Dreiflügelanlagen erbaut wurden. Auch die Rundfenster an den Kopfbauten, die eine repräsentative Seitentür mit Freitreppe flankieren, sind ein Spiel mit klassizistischen Stilen.

Dagegen erinnern die aus Naturstein gebauten Tortürme entfernt an mittelalterliche Wehrtürme, die allerdings einen antikisierenden, reduzierten Dachgesimsfries besitzen. Die Giebel- und Mansardendächer hingegen verorten die Kaserne stilistisch im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts. Hier ist der Heimatschutzstil zu sehen: Dieser kennzeichnet sich durch eine schlichte, aber ausgewogene Sprache mit steilen Satteldächern und verputzten Fassaden, die teils durch Natursteinelemente ergänzt werden. 1904 wurde die Heimatschutzarchitektur erstmals beschrieben und wird daher als moderne Strömung schon vor dem Ersten Weltkrieg anerkannt. 1945 befand sie sich auf dem Höhepunkt und ist vereinzelt bis 1960 nachweisbar.

Das Torrisalit des Mainzer Forums mit seinen drei Durchgängen ist beispielsweise vergleichbar mit der Hauptzufahrt zur Eisenbahnsiedlung in Frankfurt-Nied, die von 1918 bis 1933 gebaut wurde.

Der Balkon über dem Forum 2 erinnert an das Wiehler Rathaus von 1939. Der Stil der ehemaligen Flakkaserne, die ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges erbaut wurde, kann daher nicht per se als Stil des Dritten Reiches eingestuft werden, allerdings war der Heimatschutzstil eine beliebte Formensprache in der NS-Zeit. In diesem Fall diente die Stilwahl des Forums der Demonstration von militärischer Macht.

Büste, Brunnen, Bäume

Im nördlichen Teil des Innenhofs trifft man auf das Gutenberg-Denkmal, eine auf einem beschrifteten Sockel aufgesetzte Porträtbüste. Das Denkmal wurde 1950 auf das Campusgelände versetzt und steht heute an prominenter Stelle am Haupteingang. 2015 schafften es Unbekannte, die schwere Büste von Johannes Gutenberg von seinem Sockel zu stoßen. Die Büste blieb unbeschädigt und wurde wenige Tage später wieder aufgestellt.

Auf dem teils gepflasterten, aber auch mit Bäumen gesäumten Platz mittig des Forums befindet sich leicht nach Süden versetzt der sogenannte Bürgerbrunnen. Dieser wurde 1963 von Generalkonsul Hans Klenk gestiftet und 1964 eingeweiht. Der Brunnen wurde 2005 renoviert, wobei veraltete Technik erneuert wurde, und bietet einen optischen Akzent im Innenhof.

Es befinden sich nur noch wenige Institute im Forum wie bspw. die Ethnologie und Theologie. Grund war der bereits in den 1950er Jahren starke Anstieg an Studierenden, sodass die Fakultäten bald in größere, meist neugebaute Komplexe umziehen mussten. Heute beherbergt das Forum vor allem verschiedene Sektoren der Verwaltung, u. a. das Studierendensekretariat wie auch das Präsidialamt. In den südlichen Querbauten befinden sich noch immer Hörsäle.

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Trivia

Bis in die 1960er Jahre hatte die Uni noch ein umlaufendes Tor, ebenfalls Teil der Kasernenanlage, die damals so geschützt wurde. Das Tor wurde zum Schauplatz einer Besetzungsaktion der 1968er Jahre, einhergehend mit Studierendenprotesten. Diese richteten sich unter anderem gegen schlechte Studienbedingungen, aber auch gegen nationalsozialistische Persönlichkeiten in neuen Funktionen. Die U-förmige Struktur des historischen Forumbaus wird im Westen durch das 1998 gebaute Institut für Chemie wieder aufgegriffen. Die Idee war es, eine bauliche Klammer im Osten wie im Westen zu setzen und die repräsentative Wirkung des Haupteingangs am anderen Ende zu wiederholen. So entsteht ein Bogen zwischen dem ehemaligen militärischen Altbau und dem hochmodernen  technisierten Neubau.

Kasino, Mensa, Brötchenprotest

Das ehemalige Kasino bzw. die alte Mensa schließt das Forum im Süden ab. Besonders markant ist die breite repräsentative Freitreppe, die zu einem zweigeschossigen Hauptgebäude führt, das mit einem Satteldach abschließt. Der Grundriss ist demjenigen des Forums ähnlich, da das Quergebäude ebenfalls zwei, wenn auch stark verkürzte, Seitenflügel aufweist.

Dadurch entsteht eine leichte U-Form. Der mittlere Anbau wurde bis 1954 realisiert. 1969 kam ein ebenfalls zweigeschossiger Querbau hinter dem Auditorium maximum hinzu, sodass die Grundrissform des heutigen Komplexes aus einem Rechteck besteht. So wurden den bereits bestehenden 470 Plätzen 400 neue hinzugefügt, um die Verpflegung der Studierenden zu garantieren.

Das Problem eines permanenten Platzmangels in der Mensa blieb allerdings bestehen: Im Wintersemester 1969 fand ein Protest gegen die mangelnde Organisation und Planung der Mensa statt, der als „Brötchenprotest“ in die Unigeschichte einging. Bereits 1962 fanden erste Diskussionen über einen Mensaneubau statt.

Diese wurden zurückgestellt, da zur selben Zeit die Zentralbibliothek und das Haus Recht und Wirtschaft (ReWi II) im Bau waren. Erst 1971 entwarf der Architekt Hans Auras am anderen, westlichen Ende des Campus den Neubau der Zentralmensa, der 1985 eröffnet wurde.

Der hintere Neubau der alten Mensa wird zum Großteil als Labor genutzt, wohingegen im historischen vorderen Teil zwei große Säle für Veranstaltungen, Kongresse oder Tagungen liegen. Darunter befinden sich das Restaurant „Zum Baron“ und die Cafeteria „KulturCafé“, die im Sommer mit ihren großen Terrassen zum Verweilen einladen. Mit den Verpflegungseinrichtungen wird die ursprüngliche Funktion der alten Mensa leicht verändert fortgeführt, während die Zentralmensa seit 1980 im Westen des Campus liegt.

Umgang mit einem ehemaligen Militär-Gebäude

Wird die Vergangenheit des ehemaligen Kasernengebäudes heute reflektiert, so wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum kritische Auseinandersetzungen im öffentlichen Austausch vorgenommen. Stattdessen wurde das Konversionsprojekt überwiegend positiv bewertet und die Schönheit des Bauwerks betont. Grund hierfür war die prekäre Situation der Städte und Gemeinden nach dem Zweiten Weltkrieg. Mainz wurde schwer durch Luftangriffe zerstört. Die wirtschaftliche Lage war schwierig, es waren kaum Gelder und Material für den Wiederaufbau vorhanden. Die damals nur teilweise beschädigte Kaserne bot eine sichere Basis zur Unterbringung der ersten Fakultäten. So wurde beispielsweise das physikalische Institut in dem Garagenbau der ehemaligen Flakkaserne untergebracht, da kein Geld für den Ausbau der Universität vorhanden war. Geräte wurden teils von den Wissenschaftler:innen eigens für die Forschung gebaut.

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„Man vermag sich heute nur noch schwer des Zustands von Mainz im Jahre 1945 zu erinnern, um die ungeheuren Schwierigkeiten zu begreifen, die damals die Wiedereröffnung einer Universität mit sich bringen musste. […] So ist es verständlich, daß man bald von dem Mainzer Wunder sprach und den Aufbau der Universität in einer Flakkaserne vielfach symbolisch als Zeichen geistiger Erneuerung eines in seine größte Katastrophe gesunkenen Volkes interpretierte.“

Prorektor Isele verfasste am 24. Juni 1952 ein Antwortschreiben an eine Filmproduktionsfirma, die einen militärischen Fiction-Film mit der Flakkaserne als Kulisse drehen wollte. In diesem Schreiben betont Isele den Glücksfall, die Flakkaserne in eine Universität umwandeln zu können. Er betont aber auch, dass ein Zusammenhang des Gebäudes mit dem historischen Geist der Kaserne in jedem Fall vermieden werden soll.

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Prorektor Isele, Antwort auf Filmdreh im Forum: „Dass die frühere Flakkaserne 1945/46 in eine Universität umgewandelt werden konnte, war für die neugegründete Universität gewiss ein Glücksfall, da sie auf diese Weise mit einem Schlage recht günstige räumliche Möglichkeiten erhielt. Zu den Aufgaben der neueröffneten Universität gehörte es dann aber auch, in jedem Falle einen Zusammenhang mit dem Geiste einer ‚Kaserne‘ zu vermeiden und auch im äußeren Erscheinungsbild nach Möglichkeit die Erinnerung an den frühen Kasernenbetrieb zu überwinden. Trotzdem fehlte es in den letzten Jahren nicht an wiederholten Anspielungen an die frühere Kaserne. […] Sie erweckten zum Teil aber auch Erinnerungen, die ernster Natur waren und die weder der Professorenschaft noch der Studentenschaft besonders sympathisch waren.“

Das Ensemble der ehemaligen Flakkaserne, heute das Forum universitatis, steht unter Denkmalschutz. Es war Schauplatz militärischer Handlungen der Wehrmacht. Heutzutage wissen viele Studierende nicht mehr, durch welche historisch geprägten Gebäude sie täglich laufen. Dabei ist es nicht selten, dass Bauwerke aus der Kriegsära heutzutage unter Denkmalschutz stehen. Auch die Universität des Saarlandes ist aus einer Kaserne heraus entstanden. Sie wurde 1948 ebenfalls mit französischer Unterstützung im mit Frankreich wirtschaftlich verbundenen Saarland gegründet. Am 15. November 1948 fand die Aufnahme des Lehrbetriebs in der ehemaligen Below-Kaserne statt. Diese Kaserne wurde ebenfalls 1938 und damit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg erbaut und am 27. November 1938, dem „Tag der Wehrmacht“ in Saarbrücken, eröffnet. Benannt war die Anlage nach Fritz v. Below (23. September 1853 Danzig — 23. November 1918 Weimar), einem Offizier des Ersten Weltkrieges.

Vor dem Hintergrund bestehender Bauwerke stellt sich die Frage, wie mit einem architektonischen Erbe umzugehen ist, das in der NS-Zeit politisch relevant war. Wie kann man diese Bauwerke kritisch reflektieren und ihre Geschichte vermitteln? Eine Möglichkeit ist die Erhaltung dieser Bauwerke aufgrund ihrer historischen Bedeutung. Das Ensemble in Mainz ist denkmalgeschützt, es wird also bewahrt und unter bestimmten Auflagen saniert. So werden Schauplätze als Orte verhandelt, um an die Geschichte kritisch zu erinnern. Da aber der Campus der JGU sich aus dem ursprünglichen Gebäude der Kaserne heraus emanzipiert hat, muss das Forum als Ausgangspunkt einer reflexiven Bewegung hin zu einem demokratischen Sinnbild für die Wissenschaft verstanden werden. So bleibt der Bau historischer als auch räumlicher Ausgangspunkt des Campusgeländes und der darauffolgenden Architektur.