Georg-Forster-Gebäude

Kühnl + Schmidt, 2009–2013

Zwischen dem Philosophicum und der Zentralbibliothek erstreckt sich entlang des Jacob-Welder-Wegs das in frischen, grünen Farbfacetten gehaltene Georg-Forster-Gebäude. Eingebettet in sowohl einer leicht hügeligen Grünanlage im Osten als auch einem weitläufigen Vorplatz mit Freitreppe ist der Bau heute einer der wichtigsten Treffpunkte zum Lernen, Arbeiten und Leben auf dem Campus. Sowohl die zentrale Lage als auch die energieeffiziente Bauweise waren entscheidende Faktoren für den Entwurf eines weiteren Meilensteins in der städtebaulichen Entwicklung des Gutenberg-Campus. Ökologie und Natur tauchen als Narrativ in verschiedenen Dimensionen am Georg-Forster-Gebäude auf und machen es zu einem facettenreichen Hochschulbau des 21. Jahrhunderts.

Entlang einer traditionsreichen Architekturachse

Das Georg-Forster-Gebäude besteht aus einem vier- und einem sechsgeschossigen Gebäudetrakt, die sich um einen lichten Innenhof gruppieren.

Während das südliche niedrigere Gebäude die Seminar- und Hörsäle beherbergt, nimmt der nördliche Trakt die Institute mit Dienst- und Besprechungszimmern auf. Diese logische Teilung der Nutzungsbereiche zeigt sich auch anhand der Gestaltung:

Über die unterschiedlichen Gesimshöhen hinweg besitzt der nördliche Dienstzimmerbau eine dunkle Klinkerverkleidung mit Lochfassade. Das südliche Hörsaal- und Seminargebäude zeichnet sich durch ein hochgestelltes Erdgeschoss auf Betonstützen und die markante, vielgrüne Fassadenverkleidung aus.

Die erhöhte Gebäudeposition, die sich aus dem plateauartigen Vorplatz mit Freitreppe ergibt, ist eine Referenz an die ebenfalls erhöhten Gebäude des ReWi II (1960) und des Philosophicums (1964). Alle drei Bauwerke erhalten so eine besondere topografische Bedeutung mit Vorplätzen, die an eine Piazza erinnern. Außerdem nimmt das Georg-Forster-Gebäude ebenfalls die Aufteilung in mehrere Trakte von ReWi II undPhilosophicum auf. Ähnlich wie in den frühen Verwaltungsbauten wird die Trennung von Nutzungsbereichen anhand von Bauform, Geschosshöhe und Gestaltung gekennzeichnet. Besonders auffällig ist zudem das offene Erdgeschoss des Südtrakts des Georg-Forster-Gebäudes, das die Passagenqualität vom Südtrakt des Philosophicums aufnimmt. Ebenso weisen die Nordfassaden mit dunkelbrauner Klinkerverkleidung und Lochfassade ähnliche Materialien und Strukturen auf.

Eine weitere Verbindung von Philosophicum und dem Georg-Forster-Gebäude ist das gemeinsame Vorbild der Architektur von Le Corbusier. Vor allem der hochgestellte Vorlesungstrakt mit seinem Betonstützen und dem schwebenden Obergeschoss erinnert an die 1928-1931 errichtete Villa Savoye in Poissy. Hier wurden Le Corbusiers „Fünf Punkte zu einer neuen Architektur“ baulich umgesetzt. Diese umfassen unter anderem die Bedeutung sogenannter Piloti, also der Betonstützen, Dachgärten und Fensterbänder – Aspekte, die allesamt beim GFG auffindbar sind.

Der Ausbau des geistes-wissenschaftlichen Zentrums

Obwohl stilistisch eindeutig dem 21. Jahrhundert zuzordnen, vollzieht das Georg-Forster-Gebäude eine tiefe Verbeugung vor der Universitätsarchitektur der 1960er Jahre. Das Ergebnis ist ein harmonisches Gesamtbild der überwiegend als Verwaltungsflachbauten ausgeführten Bauwerke sowohl des 20. als auch 21. Jahrhunderts entlang des Jakob-Welder-Weges und die Bildung eines eigenen Quartiers für die Geisteswissenschaften im Nordosten des Campus. Bereits im Jahr 1960 ging aus damaligen Entwicklungsplänen der grundlegende Gedanke hervor, mit dem Neubau der Naturwissenschaftlichen Fakultät und dem Philosophicum zwei neue Zentren auf dem Campus fernab des Forums zu entwickeln. Außerdem sollten die neuen Zentren auch ideell ein Zeichen setzen, indem der übergreifende Gedanke einer vielfältigen Wissenschaftsgesellschaft, die sich in Natur- und Geisteswissenschaften aufteilt, mit den neuen Zentren zum Tragen kommt. Das Georg-Forster-Gebäude gliedert sich mit seinem fortführenden Vorplatz und der Offenheit seines Innenhofes in die städtebauliche Situation des Philosophicums ein. Das große Potenzial der Mainzer Geistes- und Sozialwissenschaften wird somit grundsätzlich weiter ausgebaut und auf mit Hilfe der Architektur für den internationalen Wettbewerb gestärkt.

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„Mit der Fertigstellung dieses Neubaus sind die Geistes- und Sozialwissenschaften an der JGU auch räumlich zusammengewachsen und die Kommunikation und Kooperation zwischen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der verschiedenen Institute erleben neue Impulse.“

Zeitgleich erweitert der Neubau das geisteswissenschaftliche Quartier auf dem Gutenberg-Campus und führt das bereits 1960 geplante Zentrum in die zeitgenössische Architektur über. Die Leitideen der 1960er, die JGU als weltweit konkurrenzfähige und hocheffiziente Campusuniversität auszubilden – sowohl wissenschaftlich als auch architektonisch – greift der Entwurf des Georg-Forster-Gebäudes in zeitgemäßer Weise auf: Hier „wird ein ganz wichtiges Signal für die Anerkennung und Wertschätzung der Geistes- und Sozialwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gesetzt“, so die ehemalige Wissenschaftsministerin Doris Ahnen.

Offene Weltanschauung und Wissenstransfer

Das Georg-Forster-Gebäude gliedert sich nicht nur erfolgreich in die Straßenführung aus der Kasernenzeit ein und vollzieht so eine materielle wie geistige Überbauung und Reflexion der JGU von ihren Anfängen bis in das 21. Jahrhundert. Auch inhaltlich vermittelt der Neubau die reiche Verzweigung von Wissen und Wissenschaft sowie den Austausch von Erkenntnis zugunsten einer vielfältig vernetzten Transdisziplinarität.

Dieser Gedanke zeigt sich einerseits in der Namensgebung: Johann Georg Adam Forster war ein bedeutender deutscher Ethnologe und Naturforscher zu Zeiten der Aufklärung im 18. Jahrhundert, mit ausgeprägten kultur- und kunsthistorischen Interessen. Während seiner Weltumsegelung mit James Cook arbeitete er außerdem als Reiseschriftsteller, Übersetzer und Journalist. 1788 wurde er Oberbibliothekar der Alten Universität Mainz und schloss sich der Mainzer Republik an. Diese war das erste, wenn auch kurzlebige, deutsche Staatswesen mit bürgerlich-demokratischen Grundsätzen. Werte wie Offenheit, Selbstbestimmung und Demokratie sind in Georg Forsters Person fest verankert.

Die Bedeutung des Austauschs und der Weitergabe von Wissen ist in der imposanten Glasfassade am Haupteingang des Georg-Forster-Gebäudes festgehalten. Diese führt rund 500 wegweisende Zitate von 250 berühmten wie unbekannten Autor:innen zu den Themen Wissen, Wissenschaft und Forschung zusammen. So entsteht ein bewusst nicht chronologisches Textgewebe, das weniger eine akkurate Wissenschaftsgeschichte als eine Sammlung von Erkenntnissen sowie ihre Aneignung und Weitergabe repräsentiert. Zusammengetragen wurden die Zitate von Kolleg:innen verschiedener Institute der JGU. So entsteht sowohl eine erkenntnistheoretische Vernetzung der Zitate untereinander als auch die reale Vernetzung der am Projekt beteiligten Personen, die ihr Wissen austauschen.

 

Die Zitate reihen sich nahtlos aneinander und lassen dahinter das Abbild eines abstrahierten Baumes an der Glasfassade durchscheinen. Die Verschmelzung von Text und Baum erinnert an das Prinzip von Wissensbäumen. Mit ihnen werden Erkenntnisse räumlich strukturiert und anschaulich visualisiert. Die heute bekannte Mindmap – ein effektives Medium auch in der Wissenschaft – ist vom Bild des Wissensbaums abgeleitet, das bis ins 18. Jahrhundert zurückgeht. Gemeinsam mit den übrig gebliebenen Bäumen des einstigen Universitätswäldchens und der grünen Fassade entwickeln sich hier der Baum und die Natur als übergreifendes architektonisches Leitbild.

Die Vernetzung von Wissen und Wissenschaft korrespondiert mit dem Nutzungskonzept des Georg-Forster-Gebäudes: Hier sind mehrere sozial- und kulturwissenschaftliche Fächer und Institute untergebracht, die sich Seminar- und Hörsaalräume, aber auch die Bibliothek teilen: die Institute für Erziehungswissenschaft, Politikwissenschaft, Psychologie, Publizistik und Soziologie sowie das Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft. Gegenüber vom Georg-Forster-Gebäude liegen die Rechts- und Naturwissenschaften. Die verschiedenen, örtlich nah beieinander liegenden Wissenschaftsbereiche finden Ausdruck in den Zitaten der Glasfassade, die eine bis in die Antike zurückreichende und fortgeführte Vernetzung der unterschiedlichen Fächer und Wissensbereiche dokumentieren.

Der Zusammenschluss von Bereichs- und Zentralbibliothek

Der Wissensaustausch wird letztlich auch durch die bauliche Vernetzung des Georg-Forster-Gebäudes mit der Zentralbibliothek deutlich. Im Osten ist die Bereichsbibliothek über einen Glasgang unmittelbar mit der Zentralbibliothek verbunden. Der räumliche Zusammenschluss der beiden Büchereien sollte mehr Leseplätze für die Studierenden und eine freiere Nutzung der Buchbestände gewährleisten. Die Bibliothek im Georg-Forster-Gebäude ist wegen der modernen Raumgestaltung und Klimatisierung ein beliebter Lernort. Heute kann man sich Bücher aus der Lehrbuchsammlung oder dem Magazin holen, ohne diese direkt ausleihen zu müssen, um sich dann einen Platz in der modernen Bereichsbibliothek des Georg-Forster-Gebäudes zu suchen – oder umgekehrt.

Die Georg-Forster-Bereichsbibliothek erstreckt sich über zwei Etagen: das Erd- und Untergeschoss. Seminarapparate befinden sich im oberen Bereich am Eingang, dahinter befinden sich kleine PC-Pools und offene Lesebereiche. Mehrere kleine Gruppenarbeits- und Ruheräume ermöglichen die dynamische Nutzung der Bibliothek, ohne andere Personen zu stören. Highlight des Erdgeschosses ist die freischwebende Sofagalerie, wo man es sich mit Buch und Laptop gemütlich machen kann. Natürliches Licht fällt durch Lichtschächte an der Decke. Dies ist möglich, da sich über der Bibliothek im ersten Stock ein Binnenhof befindet, der denjenigen des Philosophicums gleicht. In dessen Boden sind Lichtschlitze eingelassen, die in die Decke der Bibliothek übergehen. 

Das Untergeschoss erhält seine natürliche Beleuchtung durch die Freilegung des Grunds seitlich des Gebäudes. Dadurch entsteht ein Souterrain-Geschoss, dessen West- und Nordwand komplett verglast sind. Hier gliedern sich große Lesebereiche an. Ebenfalls eine Etage tiefer sind Einzel- und Gruppenräume eingeplant, ebenso Kopierräume und weitere PC-Pools. Alle Tische verfügen über eigene Strom- und Lichtquellen, um das konzentrierte Arbeiten zu erleichtern.

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Trivia

Nachhaltigkeit und Effizienz

Der Neubau des Georg-Forster-Gebäudes weist begrünte Dächer und einen bepflanzten Binnenhof auf. Ursprünglich 1925 von Le Corbusier in dessen „Fünf Punkte einer Architektur“ entwickelt gelten Dachbegrünungen heute als Standard beim nachhaltigen Bauen. Im Zentrum steht die Gleichberechtigung von Umwelt und sozialen und wirtschaftlichen Faktoren. Nachfolgende Generationen sollen sowohl ein ökologisches als auch lebenswertes Baugefüge vorfinden. Die Begrünung sorgt für einen UV-Schutz und schont das Material. Temperaturspannungen werden ausgeglichen. Außerdem sorgen Gründächer für eine harmonische Eingliederung der Bauwerke in das Stadtgefüge. Kühnl + Schmidt wurden 2013 mit dem „Good Practice Energieeffizienz-Award“ ausgezeichnet. Das Architekturbüro ist auf Nachhaltigkeitskonzepte mit neuesten technischen Ausstattungen spezialisiert und vermag es, ökologische und ökonomische Aspekte mit einer zeitgemäßen Architektursprache zu verknüpfen. Basis des Georg-Forster-Gebäudes bildet ein intelligentes Energiekonzept mit Solarthermie und Trinkwasserableitung sowie thermoaktiven Bauteilen. Das Ergebnis ist ein Bauwerk, das 34 Prozent an Energie einsparen kann.