Zentralmensa
Hans Auras
1974 (erster Entwurf), 1980–1985 (Bauzeit)
Ein neuer Mittelpunkt für den Campus
Die Zentralmensa der JGU bildet sowohl einen örtlichen als auch inhaltlichen Dreh- und Angelpunkt des Campus. Von 1980 bis 1985 am damaligen westlichen Ende des Universitätsareals erbaut, steht sie heute inmitten von Institutsgebäuden und verbindet zugleich den älteren Baubestand im Osten (ReWi I und II, Zentralbibliothek, NatFak und Muschel sowie Philosophicum) mit Neubauten im Westen (Neubau Chemie, MPI für Chemie, BioZentrum I und II und das Helmholtz-Institut). Die Zentralmensa steht seit 2018, wie auch NatFak und Muschel, unter Denkmalschutz. Sie galt bereits bei ihrer Eröffnung als ein herausragender Bau, der viele architekturhistorische, aber auch sozialpsychologische Bezüge besitzt.
Der Münchener Architekt Hans Auras gewann bereits 1970 den ausgeschriebenen Wettbewerb für einen Mensaneubau. Die Bauarbeiten begannen allerdings ganze zehn Jahre später, ohne dass Auras große Änderungen am Ursprungsentwurf vornahm. Ein Grund dafür ist der sozialpsychologische Einfluss auf das Konzept, der wiederum Ende der 1960er Jahre entstand und neue Ansätze für die Baukultur nach sich zog. Heute zeichnet sich die Mensa durch ihren eklektizistischen und feinfühligen Stil zwischen Moderne, Postmoderne und High-Tech-Architektur aus.
Nach den Plänen von Auras wurde von 1985 bis 1987 auch das nördlich der Mensa gelegene Studierendenhaus (früher Studentenhaus) erbaut, das wie die Zentralmensa eine charakteristische Dachfläche besitzt.
Bauwerk und Landschaft im Einklang
Als ein vielschichtiger, dynamischer Bau zeigt sich die Zentralmensa auf einem freien polygonalen Grundriss mit einer breiten, unregelmäßig ausschwingenden Terrasse, die das Erd- und Obergeschoss trennt.
Das Gebäude ist in eine Grünlandschaft eingebettet, die eigens für die neue Mensa konzipiert wurde. Zwischen Staudingerweg und Duesbergweg gelegen ist ihre auffällige Formensprache von allen Richtungen aus sichtbar.
Vor allem vom westlichen Neubau der Chemie aus fällt die doppelte Zeltdachkonstruktion ins Auge.
Die Gebäudewände weisen großzügig verglaste Fensterzonen auf, die im Erdgeschoss durch ein rhythmisiertes, harmonisches Raster vertikaler Fenstersprossen aus Holz gegliedert werden. So haben die Gäste einen freien Blick auf die Landschaft, während sie ihr Mittagessen genießen.
Als eine Art zeitgemäßer Zentralbau besitzt die Mensa keine Hauptansicht und ebenso keinen Haupteingang. Von zwei Freiteppen, beziehungsweise von einem leicht geschwungenen Weg vom Süden des Campus aus, gelangen die Besucher:innen auf die breite, schattige Terrasse, die im Sommer Sitzmöglichkeiten bietet.
Geschützt wird diese durch die expressionistisch anmutende Dachlandschaft, die weit über das Obergeschoss hinausragt.
Die Verbindung von künstlich angelegter Landschaft und dem wohlgestalteten Flachbau mit prägnanter Überdachung erinnert an japanische Tempelarchitektur. Speziell die unterschiedlich breiten, filigran gegliederten Fensterflächen stehen in Bezug zu japanischen Papierwänden (Shōji) und die fortlaufenden Pyramiden-Dächer und ihre große Spannweite gleichen der Tempeldachform namens hōgyō.
Das Grau des Zinks und das Braun des Holzes untermauern den visuellen Bezug zu Shinto- oder Zen-Tempeln. Ebenso ist neben der Durchdringung von Architektur- und Naturerlebnis die Einheit von Konstruktion und Gestaltung sowie modularer Gliederung eine Referenz auf japanische Architektur.
Die Zeltdach-Landschaft als städtebaulicher Gegenpol
Aus der Luft ist zu erkennen, dass die Dachlandschaft teilweise aus zwei Ebenen besteht, wodurch der Rhythmus der Dachzelte verstärkt wird. So entstehen Fensterbänder, die das Innere des Obergeschosses großzügig mit Licht versorgen. Die kleinen Zeltdächer bilden quadratische Pyramiden, welche sich als Elemente zusammenfügen und das Gebäude sowohl horizontal als auch vertikal dynamisieren. Das Dach liegt auf massiven Betonträgern auf und besteht aus einer mit Zink eingedeckten Holzkonstruktion. Das Holz als Material ist an den Unterseiten der Dächer im äußeren wie inneren Bereich zu sehen, wodurch ein warmer, einladender Eindruck im Eingangsbereich, Foyer und dem kleinen Café namens „Mensaria“ entsteht.
Außerdem bildet der satte Braunton einen spannenden Kontrast zum ansonsten großzügig eingesetzten Beton. Hans Auras‘ Vorliebe für offene Grundrisse und Holzdächer ist in seinem Wohngebäude in Donaueschingen wiedererkennbar, das noch vor der Zentralmensa, 1978, erbaut wurde. Auch hier besteht das Dach aus einer gefalteten Konstruktion. Als Vorbild sah Hans Auras seinen Lehrer Rolf Gutbrod, für den er Ende der 1950er Jahre als Assistent an der Stuttgarter Hochschule arbeitete. Gutbrod war ebenfalls in der Entwicklung von Hochschularchitektur aktiv. Außerdem entwickelte Gutbrod 1967 gemeinsam mit dem international bekannten Architekten Frei Otto den Deutschen Pavillon der Weltausstellung in Montreal. Diese Traditionslinie – von Auras zu Otto – ist von besonderer Bedeutung, denn sie zeigt, wie die Zentralmensa zu ihrem eigenartigen Dach gekommen ist: Frei Otto spezialisierte sich auf den Leichtbau mit Seilnetzen und Gitterschalen, wodurch er in der Lage war, neue Formen und Dimensionen der Dachkonstruktion zu entwickeln. Mit seinem Sternwellenzelt in Köln (1957) und dem Bau des Olympiastadions in München (1972), das wiederum Seilnetzdächer besitzt, wurde er zu einem Schlüsselarchitekten der Spätmoderne und kann als Inspiration für Hans Auras verstanden werden.
Die Zentralmensa als städtebauliche Zäsur
Die Zentralmensa befindet sich am Ende der zwei Straßenachsen des Johann-Joachim-Becher-Wegs und des Jakob-Welder-Wegs. Mit ihrem freistehenden Bau endet so die ursprüngliche Infrastruktur, die sich aus dem Areal der Flakkaserne entwickelt hat. Von hier aus bricht die alte Struktur der Sichtachsen, an denen sich die Architekten der Bauwerke im Osten des Campus ausrichten mussten. Betrachtet man die Karte, so führen nun Staudinger- und Duesbergweg um die Zentralmensa herum und gestatten genügend Freiraum für ihre visuelle Entfaltung. Durch das begrünte, hügelige Gelände führen geschwungene Wege, die den Eindruck von natürlichen Pfaden vermitteln.
Bereits vor der Ausschreibung des Wettbewerbs für die Zentralmensa wurde der Ankauf von weiteren westlichen Liegenschaften teilweise getätigt oder war in Planung, wie der Campusentwicklungsplan von 1967 beweist. Dieser zeigt eine potenzielle Bebauung bis zum heutigen Gebiet, wo sich die Max-Planck-Institute für Chemie und Polymerforschung befinden. Ende der 1960er Jahre waren noch andere Bauwerke in diesem Areal geplant: So sollte hier bspw. das neue ReWi (Rechts- und Wirtschaftswissenschaften) entstehen, das 1991 dann doch gegenüber dem alten ReWi errichtet wurde.
Heute bildet die Zentralmensa mit direkter Anbindung zum Studierendenhaus und den Wohnheimen ein wichtiges Quartier, das die Qualität studentischen Lebens auf dem Campus fördert und Begegnungsräume mit Aufenthaltsqualität schafft.
Repräsentative High-Tech-Architektur
Nachdem man die Zentralmensa mithilfe der Freitreppen oder dem südlichen Zuweg im Obergeschoss erreicht hat, führen gläserne Türen ins Innere, wo sich das 2000 umgebaute Café „Mensaria“ und mehrere kleine Geschäftszellen befinden.
Die Mensaria gliedert sich U-förmig um eine 2001 umgebaute Theke mit Free-Flow-Bereich, an der man abgepackte Speisen und Getränke direkt mitnehmen kann. Der offene Raum ist hell ausgeleuchtet, sowohl durch die Fensterbänder der doppelten Dächer als auch durch freischwebende Deckenbeleuchtung. Besonders auffällig ist der Kontrast von Materialien, der sich bereits außen abgezeichnet hat. Das Dach wird im Inneren durch schlanke Rundstützen aus Beton getragen, die in einem starken Gegensatz zu Holzdecke und -möbeln stehen. Die Wände sind mit Kalksandsteinziegeln verkleidet. An sich wiederholenden Punkten befinden sich große Be- und Entlüftungsrohre aus Metall, die über ihren funktionalen Charakter hinaus den Raum schmücken. Sie werden zu einem ästhetischen Moment. Gepaart mit den ebenfalls unverkleideten Rohr- und Kabelleitungen in Rot und Blau entsteht ein fabrikartiger Charakter. Diesem wird wiederum entgegengewirkt durch die massiven, dreieckigen Holztische, die dem Raum den Charakter eines Wirtshauses verleihen. Die Mensaria vereint so eine modernste Großküche, die sich durch die offenliegende Technik ausdrückt, mit gemütlich-bürgerlicher Atmosphäre.
Eine repräsentative, zweiflügelige Treppe führt von der Mitte des Obergeschosses in das Erdgeschoss zum Speisesaal. Hier entfaltet sich eine große Halle, in der der Kontrast von Betonwänden und Holzmobiliar fortgeführt wird. Die Betondecke weist ebenfalls offenliegende Rohr- und Stromleitungen in Blau und Rot auf, die sich durch den gesamten Raum ziehen. Betonrundpfeiler stützen die hohe Decke und werden teilweise von metallenen Lüftungsrohren begleitet.
Der Hallencharakter wird durch eine geschickte Sitzplatzaufteilung aufgehoben. Hans Auras setzte niedrige geschwungene Mäuerchen aus weißem Sandstein in den Speisesaal, um kleinere und überschaubare Areale zu kreieren. Wiederholt entsteht so eine geschützte Atmosphäre der kleineren Tischgruppen. Tiefhängende, heute blaue und damals rote Deckenleuchten erzeugen eine Spotlight-Belichtung. Für noch mehr Dynamik sorgen Schallschutzlamellen in Rot, die in geschwungenen Kaskaden ebenfalls an der Decke angebracht sind.
Während die Zentralmensa von außen durch die japanisch anmutende Dachlandschaft auffällt, erzeugt Auras im Inneren eine High-Tech-Architektur, die in den 1970er Jahren, also zu Zeiten des Entwurfs, hochaktuell war. Leitidee dieser Strömung war es, sowohl die Technologie als auch Technik des Gebäudes hervorzuheben und diese zu strukturierenden und ornamentalen Elementen zu erhöhen. Vor allem das Offenlegen von technischen Einrichtungen wie Versorgungssystemen ist ein wichtiges Merkmal, das in beiden Stockwerken der Zentralmensa wiederzufinden ist. Die Faszination für Technik spitzt sich in der High-Tech-Architektur zu und die Ästhetisierung von ursprünglich funktionalen Elementen lässt „Gebäudemaschinen“ entstehen. Radikal war dieser Ansatz deshalb, weil die Technikanlagen vorher sorgfältig im Bau versteckt wurden.
Ein Vorbild hat die Innenarchitektur der Zentralmensa wohl im Centre Pompidou von Renzo Piano, das von 1971 bis 1977 in Paris gebaut wurde. Die offenen Rohr- und Leitungssysteme sind dort in vielen farbigen Akzenten an das Äußere des Gebäudes angebracht. Das gesamte Bauwerk wird so zu einer monumentalen Be- und Entlüftungsanlage. Ein weiteres Beispiel ist das Universitätsklinikum in Aachen (1969 bis 1985).
Wie Architektursoziologie und Hochschulreformen die Zentralmensa prägten
Eine Leitidee, die sich durch das Schaffen von Hans Auras zog, war die Gestaltung von individuellen Räumen zur Entfaltung von Gemeinschaft. Die Dynamik von sozialen Gruppen und Gleichberechtigung der Einzelnen im Kollektiv waren für den Architekten von zentraler Bedeutung. Als Inspiration kann die Pädagogik von Kurt Hahn angesehen werden, die das Verantwortungsbewusstsein innerhalb der Gesellschaft adressiert.
Weiteren Einfluss hatten die Überlegungen des Frankfurter Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich, die er 1965 in seinem Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ entwickelte. Hier kritisiert Mitscherlich, dass das Individuum sich seit der Moderne den Bauwerken anpassen muss, die auf reine Funktionalität hin gebaut wurden. Dadurch ginge der Sinn eines Lebensraums für Menschen und ihre vielfältigen Facetten verloren. Die Folge ist die soziale und kulturelle Verödung von Großstädten und ein dadurch beginnender Verlust von Gemeinschaft hin zur Anonymisierung und Vereinsamung. Anzumerken ist allerdings, dass der Autor sich nicht gegen moderne Form- und Raumlösungen per se stellen, sondern für zeitgemäße städtebauliche Ansätze für die Zukunft plädieren möchte, die das Individuum in den Mittelpunkt stellen.
Relevant war Mitscherlichs Kritik auch für die Campusentwicklung in Deutschland, die in die Zeit mehrerer Hochschulreformen fiel. Mit den 1965 eintretenden Reformen, die bis 1973 anhalten sollten, veränderte sich auch der gestalterische und räumliche Fokus der Hochschularchitektur. Die Reformen richteten sich gegen das mangelnde Bildungssystem, das ein Kernthema der Studierendenbewegungen der 1968er war. Die Student:innen forderten damals eine Demokratisierung des Studierens und stärkere Position bei universitären Entscheidungen. Die Folge war der Fokus auf die Bedürfnisse der Studierenden, der mit den Reformen durchgesetzt werden sollte. Diese Änderung wirkte sich auch auf die Architektur aus: Statt möglichst viele unterschiedliche Bereiche in große Lernmaschinen zu packen, rückten einzelne Bereiche und die Aufenthaltsqualität auf dem Campus in das Interesse. Verwirklicht ist dieses Prinzip in der Zentralmensa, deren Entwurf unmittelbar nach den Jahren der Reformen entstand.
Hans Auras war es wichtig, den Massenprozess der Verpflegung so zu gestalten, dass das Essen als wichtige soziale und kulturelle Instanz auch hier zu einem persönlichen und positiv konnotierten Erlebnis wird. Das Ergebnis ist jener von allen Seiten zugängliche Zentralbau mit zwei Geschossen, der in einen Landschaftsgarten eingebettet ist. Hochschulreform und Sozialpsychologie inspirierten den Architekten, eine zeitgemäße architektonische Antwort zu formulieren und Gebäude für jede Stimmung mit Blickbezügen, Öffnungen, aber auch Rückzugsbereichen zu kreieren. Der eklektizistische Anschein der Zentralmensa – von japanisch anmutenden und sakralen Elementen hin zur High-Tech-Architektur – ist Zeugnis von Auras‘ Auseinandersetzung, eine Architektur für das Wohl der Menschen zu schaffen.
Auras rückt letztlich die Gemeinschaft der Universität, bestehend aus Forschenden, Lehrenden und lernenden Personen, in den Fokus seines Mensaentwurfs und bringt den Zusammenschluss unterschiedlichster Individuen hier zum Ausdruck. In Form eines Kommunikationsortes, als Raum der Vernetzung, aber auch der Freizeit steht die Mensa, so Auras, „bewußt als Kontrapunkt zur Rationalität eines Universitätsbetriebes“. Seine utopische Idee einer universitären Gemeinschaft lässt sich auch in seiner Verwendung des Materials Beton erkennen, den Auras als natürlichen Werkstoff ansieht und dem er das Potenzial zuschreibt, die Idee des Aufbruchs zu versinnbildlichen.
Trivia
Das Zentrum des großen Speisesaals beherbergt eine drei Meter hohe Skulptur von Hubert Bernatzky aus zwei transparenten, zickzackförmigen Kunststoffrohren. Sie nimmt die geschwungenen Laufbahnen der Deckenlamellen auf und referiert zugleich auf die großen Lüftungsrohre im Raum. Die Skulptur beinhaltet ein Wasserspiel und wird damit zu einem Innenbrunnen, der aber nicht in Betrieb ist.